Von der Kunst leben
Sandra Morales ist eine 34 jährige bildende Künstlerin aus Costa Rica. 1998 schloss sie ihr Studium an der Universität Costa Rica ab. Sie arbeitet mit zahlreichen Galerien in San José und hat bereits ihr Werk in Galerien außerhalb Costa Ricas ausgestellt. Obwohl die costaricanischen Künstler bei jeder Ausstellung im Ausland selbst die gesamten Kosten (Reise, Ausstellung, Materialien) übernehmen müssen, ist die künstlerische Arbeit eine Frage des Willens, sagt sie. „Ich will es machen, weil es mir gefällt“. Man verkauft die Bilder nicht jeden Tag, aber man verkauft sie. Morales ist der Meinung, in Costa Rica kann man von der Kunst leben, obwohl es nicht einfach ist. Man muss viel Ausdauer und Wille haben. Wenn man es will, kann man es schaffen. Für sie ist allein die Möglichkeit, von malen zu leben, ein großer Gewinn. Manche Leute sagen, es sei unmöglich davon zu leben. Man kann davon leben, Millionär wird man aber nicht, sagt Morales. Für sie ist der ökonomische Wohlstand erfreulich, aber es gibt eine andere Art von Wohlstand. Viele Leute haben einen finanziellen Wohlstand und leben unter ständigen Stress und sind nicht glücklich. Die Kunst gibt Morales eine enorme persönliche Zufriedenheit: Die Möglichkeit, allein vor einem Gemälde zu sein, sich selbst auszudrücken und mit ihrer Arbeit die Leute zufrieden zu machen, ist für sie das Beste. Über eine solche Einstellung sind ihre Eltern sehr offen. Ihr Vater ist Musiker und war immer sehr offen, was sie machen wollte. Von ihren Eltern hat sie immer viel Unterstützung gehabt. | ||
Ihre Kunst
Morales findet es schwierig, ihre eigene Kunst einzuordnen. Manche behaupten, sie sei expressionistisch. Manchmal haben die Leute das Bedürfnis alles zu erfahren: „Wie sie es gemacht hat?“, „Wieso hat sie es so gemacht?“. Manchmal gibt es aber subjektiven Sachen in der Kunst. Vielleicht hatte der Künstler die Absicht, vielleicht hatte er sie auch nicht. Das ist trotzdem ein Bestandteil seines Ausdrucksreichtums, das ist seine Form sich vor der Gesellschaft auszudrucken. Sich ausdrucken ist für Morales seit jeher ein Bedürfnis. Als sie klein war, wusste sie bereits, ihre Welt ist das Zeichnen. Sie folgt keiner Schule in ihrer Kunst. Ihre Kunst ist ein Entwicklungsprozess. Sie realisiert das jedes Mal, wenn sie ein altes Gemälde von ihr sieht und es mit einem neuen Bild vergleicht: Sie sehen ganz anders aus, es gibt eine Entwicklung. Natürlich gibt es Einflüsse in ihrer Kunst: die japanischen Zeichentrickfilme ihrer Kindheit. Die Farben, die Linien, die Formen dieser Zeichentrickfilme haben ihre Arbeit irgendwie beeinflusst. |
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Thema
Die Themafrage ist eine Ausrede. Man hat das Bedürfnis sich auszudrücken und man nimmt irgendein Thema. Möglicherweise hat man ein Lieblingsthema. Die Stiere, die Pferde oder die menschliche Figur ist für Morales das Gleiche. Sie sind nur Personen, wie Momente bzw. Fragmente eines Filmes. Ihre Kraft oder ihr Ausdruck ist unabhängig davon, ob es ein Stier oder ein Mensch ist. Sie sind das Bedürfnis sich visuell auszudrücken. Neben den Stieren malt sie auch Pferde. Sie liebt die Stierfigur, obwohl sie die Stierkämpfe nicht mag. Sie hat viel Respekt vor der Natur und den Tieren. In eine Stierkampfarena zu gehen, um sich ein sterbendes Tier anzusehen, kann kein Vergnügen sein. Wieso malt sie keine Selbstporträts? Bei jedem Gemälde porträtiert sich man ein bisschen selbst. Immer kommen eigene Merkmale ins Gemälde. Künstler porträtieren sich immer selbst in ihren Werken. |
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Malen und Ausstellen
Morales liebt es, eine leere Leinwand vor sich zu haben, weil sie eine große Menge Ideen hat. Sie weiß trotzdem nicht, wie das Ganze am Schluss aussehen wird. Das ist eine Überraschung und Teil des Vergnügens. Das Gemälde „bauen“ und dann es fertig sehen, bedeutet ihr eine große Freude. Sie malt immer sehr locker und direkt auf der Leinwand. Sie macht Kritzeleien und darauf baut sie auf. Die Bilder erscheinen von allein auf der Leinwand. Sie experimentiert gerade die Farbenskala der Farbe Grau. Mit den Primärfarben (grün, rot, gelb) macht sie Mischungen und stellt eine sehr große Farbenskala her. Es gibt wärmere und kältere Gemälde. Andere haben mehr Licht, andere haben einen schwarzen Hintergrund und nur die Person im Vordergrund hat Licht. Ausstellungen sind immer angsterfüllt für den Künstler. Man setzt sich der Kritik aus und stellt seine Person aus. Trotzdem muss man hinausgehen und die eigene Arbeit anderen Leuten zeigen. Für Morales ist es sehr bereichernd, wenn die Leute Dinge in ihren Gemälden finden, woran sie nicht gedacht hat. Das ist für sie sehr wertvoll, weil sie Neues in den Farben, im Glanz, in den Formen sehen. Die Kommentare der Leute bereichern das Werk. |
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Einflüsse der Globalisierung
Dank des Internets, des Fernsehens, der Reisemöglichkeiten gibt es heute eine engere Verbindung zwischen den Leuten, den Künstlern und all dem, was in Europa, Japan und USA gerade gemacht wird. Die Kunst muss nicht mit einem bestimmten Ort verbunden sein. Als sie neulich in Europa war, realisierte sie, dass das Licht und die Farben der Natur anders sind. Manche Leute, die in Costa Rica waren, sagen: „Die Farbenskala von Grün hier habe ich noch nie gesehen“. Das Reisen und das Internet haben großen Einfluss darauf, was die Leute machen. Man ist nicht mehr isoliert. Jetzt erlebt man die Globalisierung. Alles hat einen direkten oder unmittelbaren Einfluss auf die eigene Arbeit. Das macht es schwierig, dass der Künstler/Artesano in seiner eigenen Welt isoliert bleibt. Heutzutage ist alles verbunden. |
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Der Markt
Es gibt mehrere Märkte und mehrere Galerien bzw. Arten von Galerien in Costa Rica. Manche sind zeitgenössisch, die etwas mehr Konzeptuelles suchen. Manche stellen traditionelle bildende Kunst aus. Der Markt entscheidet, was er will. Viele Leute kaufen für das Zuhause oder das Büro. Sie investieren in Kunst, aber sie wollen auch etwas, was ihnen gefällt. Wenn Leuten etwas nicht gefällt, kaufen sie es nicht, obwohl der Künstler sehr berühmt ist. |
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Künstler und Artesano
Morales findet keinen großen Unterschied zwischen Künstler und Artesano. Der Künstler hat ein bisschen vom Artesano, ein bisschen vom Illustrator, vom Poet. Die Artesania wird der Massenproduktion zugeordnet. In der Kunst erstellt man eher Einzelstücke. |
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Politischer Ausdruck
Es gibt nicht viel Raum für den politischen Ausdruck in Costa Rica. Es gibt keinen politischen Karikaturenzeichner wie der berühmte Fontanarrosa in Argentinien. Alles was „politisch“ ist, wird geschnitten, weil es nicht angemessen ist. Radiosendungen mit politischem Inhalt wurden bereits geschlossen. Das hört man nicht im Ausland. Was hört man über Costa Rica in anderen Ländern? Man hört, dass wir einen Friedennobelpreisträger haben, dass er ein guter Präsident, dass Costa Rica sehr schön ist und dass hier gar nichts passiert. Man sieht die Graffitis an der Straße, weil es keine anderen Räume gibt, wo die Leute sich ausdrücken können. Das Problem mit einer politischen Kunst ist, dass es keine Räume gibt, wo man sie ausstellen kann. Niemand würde sie sehen, wenn man sie macht. In Costa Rica wird eher das Internet als Mittel des politischen Ausdrucks verwendet, weil es gratis ist. Es gibt staatliche Ausstellungsräume, wo man ausstellen kann, aber sie werden von einer Gruppe Personen kontrolliert. Sie bestimmen, wer ausstellen darf und wer nicht. Kommerzielle Galerien interessieren sich für eine politische Kunst nicht. |
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Die Reisen
Neulich war Morales auf die Reise durch Europa. Sie ist bereits einmal in Spanien gewesen. Sie mag nicht nur die großen Städte besuchen, auch die kleinen Dörfer sind interessant für sie, weil sie viel über ein Land zeigen. Das findet sie sehr bereichernd für ihre eigene Arbeit. Der Künstler muss sich erkundigen und vieles kennenlernen. Sie war neulich zusammen mit einer Gruppe costaricanische Künstler in Madrid, Barcelona, Sevilla in Spanien, und Italien und Frankreich. Sie haben selber die Reise finanziert. Eine Firma, die Kunstmaterialien herstellt, hat verschiedene Workshops über Papier für sie organisert. Sie waren in Fabriano, wo sie Papier herzustellen lernten. In Frankreich lernten Sie über Pigmente, Texturen und neue Produkte. Von Italien fuhren Sie mit dem Bus nach Frankreich, wo sie die Côte d’Azur kennenlernten. Es war für sie beeindruckend. Besonders hat ihr das Licht gut gefallen. Das Licht ist ganz anders, wie goldfarbig, vielleicht wegen der Jahreszeit. Venedig war wunderschön. Alles wird von den Masken und den Karneval inspiriert. |
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